Im Verlauf des Kurses haben wir immer wieder spezifische Worte als Hilfestellung dafür verwendet, um die beiden Bereiche besser zu verstehen, aus denen unsere Gedanken entspringen: das Denken aus Gewohnheit und das Denken, das aus einer Bewusstheit heraus entsteht. Wir haben immer wieder bestimmte Worte verwendet, die uns dabei unterstützen, dass wir uns unserer Lebensenergie bewusster werden. Das ist auch der Grund, warum wir in unseren Übungen so oft die Gefühls- und Bedürfnisliste zu Rate ziehen. Und obwohl es eine wirkungsvolle Methode ist, unsere Bewusstheit weiter zu entwickeln, kann es für andere hölzern und manchmal sogar abstoßend klingen, wenn wir solche Worte im alltäglichen Leben verwenden.
Mitgefühl im Alltag
Viele von uns versuchen dieses Problem so zu lösen, dass sie in ihrer Wortwahl traditionellere oder umgangssprachliche Begriffe verwenden. Diesen Sprachstil können wir „Mitgefühl im Alltag“ nennen.
Es vermag mehr Leichtigkeit und Akzeptanz beim Gegenüber zu erzeugen, wenn wir uns mit der Zeit von den „einstudierten“ Gefühls- und Bedürfniswörtern loslösen und unsere Gefühle und Bedürfnisse umgangssprachlich ausdrücken können.
Stellen Sie sich vor, wie ein Freund/eine Freundin zu Ihnen sagt: „Ich bin fix und fertig! Ich weiß einfach nicht mehr weiter.“ Und dann stellen Sie sich vor, wie es klingen würde, wenn Sie darauf sagen: „Also ich denke, du fühlst dich gerade müde und entmutigt, weil du Erholung und Hoffnung brauchst.“ Und stellen Sie sich jetzt alternativ vor, wie Sie sagen: „Wow. Du bist echt ziemlich down, oder?“
Ein Mensch würde vielleicht bei der ersten Antwort am liebsten weglaufen und sich fragen, ob Sie noch richtig ticken. Bei der zweiten Antwort könnte der oder diejenige vielleicht seufzen und sagen: „Ja, genau.“ Die letztere Ausdrucksweise stammt aus einer Bewusstheit über Gefühle und Bedürfnisse, die eine schöne und natürliche Verbindung entstehen lässt. Dafür braucht es nicht notwendigerweise spezifische Worte.
Die Herausforderung
Obwohl es vielen ein Anliegen ist, auf diese natürliche Art zu sprechen, gibt es dabei auch Herausforderungen und mögliche Fallen. Als Trainer und Lehrer habe ich immer wieder erlebt, dass wir oft sehr schnell in unsere gewohnten Denkmuster zurückfallen, wenn wir möglichst bald versuchen, zu dieser natürlichen Sprache zu finden. Wir mögen uns zwar diese Fähigkeit sofort wünschen, aber Tatsache ist, dass es großes Geschick erfordert; Es handelt sich hier um eine fortgeschrittene Fertigkeit, die sorgfältig aufgebaut und immer wieder geübt werden will, wenn es darum geht, eine echte, mitfühlende innere Haltung widerzuspiegeln.
Wie bereits erwähnt, hilft uns das Üben mit dem spezifischen Vokabular der Gefühls- und Bedürfnisliste dabei, die Art von Bewusstheit zu erzeugen und aufrechtzuerhalten, die wir anstreben. Wenn wir eine „traditionellere“ Sprache verwenden, dann können uns deren Worte ganz leicht wieder zu unseren gewohnten Mustern des Erziehen-Wollens, Verharmlosens, Analysierens, etc. zurückwerfen (siehe dazu Woche 10).
Obwohl es also bei der Art von Bewusstheit, die wir entwickeln möchten, letztendlich nicht um die Worte geht, so ist es doch klar für mich, dass die Gefühls- und Bedürfniswörter ein wichtiges Werkzeug dabei darstellen.
Was können wir also tun? – Transparenz
Zu Beginn meiner Beschäftigung mit einer mitfühlenden Lebensweise und Sprache, hatte ich ständig einen inneren Konflikt. Ich wünschte mir so sehr die Verbindung, von der ich wusste, dass Gefühls- und Bedürfniswörter sie erzeugen konnten. Zugleich wusste ich, dass es oft schwer für andere ist, etwas mit dieser Art von Sprache anzufangen, weil sie so anders ist, als die „normale“ Sprache.
Ich machte mir Sorgen darüber, dass ich Freunde verlieren und Familienmitglieder vor den Kopf stoßen könnte, wenn ich auf diese Art und Weise sprach. Es erschien mir so paradox, denn das, was ich übte, war dazu gedacht, mehr Verbindung herzustellen, und doch schien es so, als würde genau das Gegenteil passieren.
Zur damaligen Zeit verwendete ich Gefühls- und Bedürfniswörter einfach ohne viel darüber nachzudenken, und es war mir meist nicht bewusst, dass ich dadurch „unnormal“ für andere rüberkam. Es erzeugte den Eindruck von „Unechtheit“ bei den anderen Menschen, mit denen ich in Verbindung treten wollte. Da wurde mir klar, dass meine Freunde und Verwandten nicht darauf reagierten, dass ich etwas anders machte. Sie reagierten auf meinen Mangel an „Transparenz“. Es klang für sie so, als wäre ich „unecht“. Und außerdem hatten sie auch keine Entscheidungsfreiheit über unseren Gesprächsstil, da ich sie diesbezüglich nicht mit einbezogen hatte. Von ihrem Standpunkt aus „überfiel“ ich sie geradezu mit Empathie.
Durch diese Offenbarung lernte ich, die Dinge anders anzugehen. Ich lernte „transparent“ zu sein. So erklärte ich meinen Mitmenschen, dass ich gerade versuchte, mit ihnen auf eine „neue“, „unnormale“ Art zu interagieren, und das veränderte wirklich die Art, wie wir unsere Begegnung erlebten.
Wenn es mir heutzutage nicht gelingt, den richtigen umgangssprachlichen Ton zu finden, sage ich einfach so etwas Ähnliches wie: „Kann ich dich etwas fragen – es mag allerdings ein bisschen eigenartig klingen?“ Meistens bekomme ich ein „Ja“ als Antwort. Und oft entsteht dann die Art von Verbindung, die ich so sehr genieße… und die das Leben für alle ungemein bereichert.
Aus der Praxis
„Willst du‘s mal probieren?”
Nach meinen ersten paar Monaten des „Studiums“ einer mitfühlenden Lebensweise, unternahm ich den Versuch, Gefühle und Bedürfnisse immer öfter in meine Gespräche einzubauen. Zu anfangs funktionierte es gar nicht gut.
Ich erinnere mich an einen Nachmittag, ich war in meinem Büro und sprach mit meinem Sohn. Ich sprach das Thema „Sauberkeit in seinem Zimmer“ an und fragte ihn, wann er gedenke, sein Zimmer aufzuräumen und zu putzen. Irgendwann sagte er: „Schau, Papa, ich habe gerade andere Dinge zu tun, und mein Zimmer ist gerade nicht oberste Priorität für mich.“ In der Hoffnung, mehr Verbindung zu erzeugen, sagte ich daraufhin: „Fühlst du dich gerade überfordert und möchtest mehr Raum für dich?“
Als er das hörte, verschränkte er seine Arme, schüttelte in einer Geste des Abscheus den Kopf und sagte: „Du wendest schon wieder dieses Zeug an, nicht wahr?“
Genau das tat ich. Und ich erkannte, dass es nichts anderes bewirkte, als Distanz zu erzeugen. Ich war ratlos und fragte mich allen Ernstes, ob diese neue Art zu denken und zu reden jemals mein Leben zum Besseren verändern würde. Plötzlich wurde mir etwas klar: Ich wünschte mir einfach mehr Verbindung zu meinem Sohn.
„Weißt du, Collin, ich studiere dieses Zeug jetzt schon eine ganze Weile und ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn wir es gemeinsam üben würden, besser miteinander auskommen könnten. Willst du’s mal probieren?“
Ich hoffte, diese Frage würde einen Dialog zwischen uns beiden eröffnen. Ich bereitete mich im Kopf schon darauf vor, die zahlreichen Gründe zu erklären, warum ich diese Praxis gern für uns beide in unser Leben einbauen wollte. Ich begann im Kopf bereits sämtliche Erfolgsgeschichten und Konzepte, die ich gelernt hatte, hervorzukramen. Als ich mich gerade seelisch auf die vermeintliche Diskussion einstimmte, sagte Collin plötzlich: „OK.“
Ich verwarf all meine vorbereiteten Gedanken, um in den gegenwärtigen Augenblick zurückzukehren. Und währenddessen fiel mir ein, dass er sich immer gewünscht hatte, besser mit mir auszukommen. Alles, was er brauchte, war Authentizität. Ich antwortete: „Cool“.
Übungen der Woche
Übung 1 – Mitgefühl im Alltag – Diese Übung funktioniert gut mit einem Partner/einer Partnerin, aber Sie können sie auch allein machen.
Schreiben Sie als ersten Schritt etwas auf, was jemand zu Ihnen gesagt hat, das einen Schmerz oder ein unerfülltes Bedürfnis ausdrückt. Versuchen Sie dann, sich die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Person vorzustellen und schreiben Sie sie auf. Als dritten Schritt schreiben Sie eine Antwort auf, die diese Gefühle und Bedürfnisse beschreibt und ausdrückt, ohne dabei das spezifische Wort für das Gefühl und das Bedürfnis zu verwenden.
Zum Beispiel: Jemand sagt: „Diese Woche ist total verrückt. Ich finde nicht einmal fünf Minuten Zeit für mich selbst.“ Stellen Sie sich die Frage: Ist diese Person frustriert, überfordert, gestresst? Braucht sie Gleichgewicht, Raum, Unterstützung? Was könnten Sie sagen, das der anderen Person zeigt, dass Sie sie verstehen, ohne dass Sie die oben erwähnten Worte benutzen?
Falls Sie einen Partner/eine Partnerin für diese Übung finden, wie z.B. einen Empathiepartner/eine Empathiepartnerin, können Sie gemeinsam mit verschiedenen Sätzen experimentieren und nachspüren, wie sie jeweils bei der anderen Person ankommen.
Übung 2 – Weitere Übung zur Empathie im Alltag – Diese Übung funktioniert ebenfalls gut mit einem Partner/einer Partnerin, aber Sie können sie auch allein machen.
Schreiben Sie als ersten Schritt etwas auf, was jemand zu Ihnen gesagt hat, das Freude oder ein erfülltes Bedürfnis ausdrückt. Versuchen Sie dann, sich die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Person vorzustellen und schreiben Sie sie auf. Als dritten Schritt schreiben Sie eine Antwort auf, die diese Gefühle und Bedürfnisse beschreibt und ausdrückt, ohne dabei das spezifische Wort für das Gefühl und das Bedürfnis zu verwenden.
Zum Beispiel: Jemand sagt: „Ich bin so froh darüber, dass ich dieses Wochenende mehr Zeit für mich habe“. Ist diese Person überrascht, aufgedreht, erfreut, erleichtert? Ist ihr Bedürfnis nach Gleichgewicht, Raum, Spaß, Entscheidungsfreiheit erfüllt? Was könnten Sie sagen, das der anderen Person zeigt, dass Sie sie verstehen, ohne dass Sie die eingangs erwähnten Worte benutzen?
Falls Sie einen Partner/eine Partnerin finden, wie z.B. einen Empathiepartner/eine Empathiepartnerin, können Sie – wie bei der Übung 1- gemeinsam mit verschiedenen Sätzen experimentieren und nachspüren, wie sie jeweils bei der anderen Person ankommen.
Anmerkung: Im letzten Jahr hatten die TeilnehmerInnen im Forum viel Spaß mit diesen Übungen. Haben Sie vielleicht ein bisschen „Mitgefühl für die Straße“, das sie mit der Gruppe teilen möchten?
Übung 3 – Plan B – Transparent sein – Denken Sie an eine Person in Ihrem Leben zu der Sie sich mehr Verbindung wünschen und mit der es sich für Sie eigenartig anfühlen würde, wenn Sie reine Gefühls- und Bedürfnisworte verwenden würden.
Verschaffen Sie sich Klarheit – Geben Sie sich selbst Empathie (oder empfangen Sie Empathie von jemand anderem) darüber, warum Sie mit dieser Person gern über Gefühle und Bedürfnisse sprechen möchten und auch, warum es sich für Sie unangenehm anfühlt. Mit anderen Worten, werden Sie sich über Ihre Bedürfnisse klar.
Seien Sie transparent – Teilen Sie Ihren Wunsch nach mehr Verbindung mit und erklären Sie, dass Sie Gefühls- und Bedürfniswörter verwenden möchten. Fragen Sie nach, was in der anderen Person vor sich geht, wenn sie Ihren Wunsch hört. Seien Sie auch bereit, der anderen Person gegebenenfalls Empathie zu geben und überprüfen Sie Ihre Bereitschaft, ein „Nein“ zu hören, falls die andere Person mit Ihrer Strategie nicht einverstanden ist (siehe Woche 13 und Woche 15).
© Copyright Thom Bond 2014